Welche Rolle spielen tote Tiere in der Natur: Nationalpark Harz beteiligt sich an bundesweiter Untersuchung zur Aasökologie.
Wernigerode, 15. März 2023. Als einer von 13 beteiligten deutschen Nationalparken ist der Nationalpark Harz aktuell Partner in einem Forschungsprojekt zur Bedeutung von Aas in mitteleuropäischen Ökosystemen. Untersucht wird dabei, welche Rolle tote Tiere für die biologische Vielfalt und für natürliche Prozessabläufe spielen.
Der Tod ist in der Natur viel mehr als das Ende eines Lebens, er ist Teil eines fortwährenden Kreislaufs von Werden und Vergehen. Das gilt insbesondere in naturbelassenen Lebensräumen. Totes Holz und seine Bedeutung für das Ökosystem der Wälder sind den Besuchern unserer Nationalparke ein gängiger Begriff. Unzählige Pilz- und Insektenarten sind darauf als Nahrungsquelle und Lebensraum angewiesen. Von den holzfressenden Insekten wiederum ernähren sich zahlreiche Vogelarten. Doch welchen Stellenwert nehmen die sterblichen Überreste toter Tiere ein? Darüber ist noch recht wenig bekannt.
Der Kreislauf des Lebens offenbart sich am Aas wie ein Zeitraffer
Wenn man über einen längeren Zeitraum beobachtet, wie sich ein totes Tier zersetzt, wird deutlich, wie viel Leben es hervorbringt. Der Kreislauf des Lebens offenbart sich am Aas wie ein Zeitraffer im Vergleich zu der Zersetzung von abgestorbenen Bäumen. Wird Totholz über Jahrzehnte hinweg abgebaut, dauert es bei einem toten Tier oft nur wenige Wochen. Viele verschiedene Arten – von Bakterien und Pilzen über Fliegen und Aaskäfer bis zu Mardern, Raben oder imposanten Greifvögeln – haben sich auf diesen Energie-Impuls im Laufe der Evolution perfekt eingespielt. Um mehr über den ökologisch bedeutsamen Lebensraum Aas und das bisher noch viel zu wenig erforschte Zusammenspiel seiner Besucher herauszufinden, wurde das vom Bundesamt für Naturschutz geförderte und von der Universität Würzburg federführend koordinierte Projekt „Belassen von Wildtierkadavern in der Landschaft – Erprobung am Beispiel der Nationalparke“ ins Leben gerufen.
Projektziel ist es nun, erstmals über fast alle deutsche Nationalparke hinweg in den verschiedenen Großlandschaften – von den Alpen über die Mittelgebirge bis hin zu den marinen Habitaten – mit den gleichen Methoden zu untersuchen, wie Aas in den verschiedenen Ökosystemen von Wirbeltieren, Insekten sowie Mikroorganismen (Bakterien und Pilze) genutzt wird. Damit soll der Prozessschutz in Nationalparken um ein wichtiges Thema in der Wahrnehmung erweitert werden.
Die Aasbesucher werden mittels Wildkamera erfasst
Dabei gliedert sich das auf fünf Jahre angesetzte Projekt in zwei Module: Im Hauptvorhaben werden im Nationalpark Harz über einen Zeitraum von drei Jahren jährlich acht Rehkadaver an unterschiedlichen Standorten im Bergfichtenwald ausgelegt. Über die Dauer von mindestens einem Monat werden Aasbesucher mittels Wildkamera erfasst und anschließend Nutzung, Verweildauer und Besuchsfrequenzen der einzelnen Arten ermittelt. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung werden drei weitere Reh- und zusätzlich drei Rothirschkadaver in einem standardisierten Verfahren einmal im Sommer und einmal im Winter ausgelegt. Bei diesem deutlich aufwendigeren Ansatz kommen im Sommer nicht nur Wildkameras zum Einsatz, sondern es werden auch die auftretenden Insekten mittels Bodenfallen erfasst. Zusätzlich werden Abstriche am Aas sowie Bodenproben genommen, um mittels molekularer Methoden die Bakterien- und Pilzflora zu bestimmen. Verwendet werden dafür natürlich verendete oder bei Wildunfällen tödlich verunglückte Rehe und Rothirsche.
Erste Untersuchungen im Nationalpark Bayerischer Wald zeigten 17 Wirbeltierarten, 92 Käferarten, 97 Zweiflüglerarten, 1820 Bakterienarten und 3726 Pilzarten an der toten tierischen Biomasse. Auch im Nationalpark Harz wurden bei wenigen Aufsammlungen an Rothirschkadavern bereits 50 Käferarten festgestellt. Ein Wildtierkadaver ist somit ein wahrer Hotspot der Biodiversität. Am Ende der Untersuchung sollen Handlungsempfehlungen für den Umgang mit toten Wildtieren in Nationalparken und Naturlandschaften gegeben werden.
FOTO 1: Weitgehend zersetzter Rothirschkadaver. Eine zeitlich und räumlich eng begrenzte aber dennoch wertvolle Ressource im Ökosystem. Foto: Andreas Marten, Nationalpark Harz;
FOTO 2 : Der Runzelige Aaskäfer (Thanatophilus rugosus) ist regelmäßig auf Tierkadavern anzutreffen. Foto: Andreas Marten, Nationalpark Harz;