Am 17. April 1945 wurde der Brocken von US-Luftstreitkräften bombardiert, am 19. April begann die US Army von Schierke aus über die Brockenstraße den Angriff auf den Brocken, der von ca. 150 Mann verteidigt wurde. Der Brocken hatte mehr als symbolische Bedeutung, denn hier befanden sich kriegswichtige Funkanlagen. Auch ein „Sonderkommando Brocken“ der SS-Panzerbrigade „Westfalen“ war an den Kämpfen beteiligt. Zunächst wurden die Heinrichshöhe und der Königsberg von den US-Kämpfern eingenommen, dann das Brockenplateau selbst.
Danach ging es recht schnell und schon am 22. April 1945 ergaben sich die letzten deutschen Truppenteile des Harzes in Blankenburg. Die US Army hatte nur etwas weniger als 14 Tage gebraucht, um von Westen und Süden kommend den ganzen Harz zu besetzen.
Leider und fälschlicherweise wird für diese Kämpfe der letzten Kriegswochen im Harz immer noch der Begriff der „Festung Harz“ benutzt. Der Militärhistoriker Jürgen Möller belegte in seinem Buch „Der Kampf um den Harz 1945“ (2011, 2. Auflage 2013) nach intensiven Recherchen, dass der Begriff der „Festung Harz“ schlicht ein Mythos ist. Weder im Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht noch in den Wehrmachtsberichten zum Ende des Zweiten Weltkriegs ist von einer „Festung Harz“ zu lesen. Dennoch wird ständig davon geschrieben und gesprochen, ohne einen Beleg für den angeblichen Befehl Hitlers vom 8. April 1945 anzugeben. Es gab ihn einfach nicht.
Der Festungsbegriff in den Darstellungen von Manfred Bornemann („Die letzten Tage in der Festung Harz“, 5. Auflage 1990, und „Schicksalstage im Harz“, 14. Auflage 2002) darf aufgrund neuerer Forschungen somit als überholt angesehen werden – das gilt auch für alle neueren Werke, die seitdem erschienen sind, z.B. vom Autor Andreas Pawel. Selbst der für den Harz zuständige Gauleiter Rudolf Jordan, einer der hörigsten Gefolgsleute Hitlers, erwähnt in seiner beschönigenden und Fakten verdrehenden Autobiographie „Erlebt und erlitten“ (1971) keine „Festung Harz“. Ebenso dürfen die diesbezüglichen Darlegungen von Ulrich Saft („Krieg in der Heimat“, 1994) ad acta gelegt werden.
Hitler hatte während der Rückzugs-Operationen der Wehrmacht 1944 das Konzept der „Festen Plätze“ entwickelt. Solche Orte haben sich einschließen zu lassen, um dadurch möglichst starke Feindkräfte zu binden. 29 Orte, unter ihnen Reval, Minsk und Witebsk, wurden zu „Festen Plätzen“ erklärt. Im gleichen Atemzug wurden für die Propaganda und das Prestige wichtige Städte wie Marseille, Paris oder Budapest zu „Festungen“ ausgerufen, die nur als totales Trümmerfeld verlassen werden sollten. Militärisch waren diese Wahnsinnsbefehle nicht ausführbar. Dass ein ganzes Gebiet zu Ende des 2. Weltkriegs je zu einer „Festung“ erklärt wurde, ist absolut nicht nachweisbar – es hätte militärtechnisch auch gar nicht funktioniert.
Nur die Militärs vor Ort verwendeten seinerzeit den Begriff „Festung“. General Kesselring, Oberkommandierender West, der in den ersten Apriltagen 1945 in einem Eisenbahnwagen in der Nähe von Drei Annen-Hohne kurzfristig sein Hauptquartier eingerichtet hatte, schreibt in seinen Lebenserinnerungen („Soldat bis zum letzten Tag“, 1953): „Am 8. April 1945 wurde der Harz vom OKW zur Festung erklärt, und die 11. Armee mit der Verteidigung beauftragt.“ Auch Oberst Gustav Petri vermerkt in seiner letzten Eintragung im Tagebuch: „Auf Befehl des Führers soll der Harz eine Festung werden und ist zu verteidigen.“ Schließlich finden sich in den Aufzeichnungen des Wernigeröder Bürgermeisters Ulrich von Fresenius mehrfach Notizen über Gespräche mit Verantwortlichen in der Stadt darüber, ob Wernigerode „Festung, Lazarettstadt oder offene Stadt“, also verteidigt oder nicht verteidigt werden solle. Eine Entscheidung ist niemals gefallen.
Der Begriff ist somit allein dem Wahnwitz eines Hitlers entsprungen, eingedrungen in die Verzweiflung eines von der Kriegsfurie überrollten Volkes und zugleich Strohhalm, als sei der „Endsieg“ nahe. Eine weitere Verwendung des NS-Propagandabegriffs „Festung Harz“ sollte daher unterbleiben – er ist aus historischer Sicht schlicht falsch und irreführend.
Foto: Die Brockenkuppe nach dem Ende der Kämpfe 1945, Aufnahme im Archiv der Mahn- und Gedenkstätte Wernigerode.
Text: Dr. Friedhart Knolle, Spurensuche Harzregion e.V., und Peter Lehmann, Wernigerode